Interview zu Reptilien: Learning by doing ist Tierquälerei
„Tierschutz macht Schule“ im Gespräch mit Tierarzt Dr. Manfred Hochleithner.
Können Sie als Tierarzt beschreiben, wie sich die Tierhaltung in den letzten Jahren verändert hat?
Dr. Manfred Hochleithner: In meiner Wiener Praxis sehe ich einen Anstieg bei der Reptilienhaltung und einen Rückgang bei der Haltung von Hunden und Katzen.
Warum, glauben Sie, ist das so?
Dr. Manfred Hochleithner: Die Atmosphäre in Wien ist nicht mehr sehr hundefreundlich. Die Leute haben kleinere Wohnungen und bevorzugen kleine Tiere. Sie denken, dass diese Tierhaltung einfacher ist, was definitiv nicht der Fall ist.
Welche Exoten sind besonders beliebt?
Dr. Manfred Hochleithner: Zum Beispiel Landschildkröten, Bartagamen und Leopardgeckos.
Würden Sie zustimmen, dass gute Reptilienhaltung für die Menschen schwieriger umzusetzen ist als das gelungene Zusammenleben mit Hund und Katze?
Dr. Manfred Hochleithner: Ob ich eine Katze oder eine Bartagame habe, die Verantwortung ist immer die gleiche. Der Vorteil für Hund und Katze ist, dass sie mit ihren Menschen im selben Lebensraum wohnen. Im Terrarium hingegen wird eine eigene Welt erschaffen, zu der ein Mensch keinen Zugang hat. Dieser abgeschlossene Lebensraum muss funktionieren, sonst leidet das Tier drinnen unbemerkt vor sich hin. Reptilien können nicht schreien, was ein großer Nachteil für sie ist.
Welchen Fehler machen die Leute bei der Anschaffung?
Dr. Manfred Hochleithner: Leider werden die Tiere und die Terrarien oft zur gleichen Zeit gekauft, ohne dass sich die Leute vorher Gedanken machen, wie die Technik funktionieren soll. Richtig wäre: Das Terrarium soll schon vor dem Tier da sein, das Wissen über die Haltung muss ich längst intus haben, bevor das Tier ins Terrarium einzieht. Learning by Doing ist Tierquälerei.
Haben Sie ein Beispiel, wie technisches Versagen für Reptilien lebensgefährlich wird?
Dr. Manfred Hochleithner: Oft scheitert die Terrarienhaltung schon an den Halogenlampen. Diese senden unsichtbare UV-Strahlen, die für Reptilien lebensnotwendig sind. Nach einem halben Jahr leuchtet die Lampe noch immer für den Menschen sichtbar, aber diese UV-Strahlung ist nicht mehr dabei. Deshalb muss man die Lampe gegen eine neue tauschen. Das ist nicht günstig, Halogenlampen kosten so um die 60 bis 70 Euro, aber lebensnotwendig für eine Bartagame. Es gibt Messgeräte, mit denen man die Lampen daraufhin überprüfen kann, ob sie diese Strahlung noch senden. Viele TierhalterInnen rechnen nicht damit, wie viel die laufenden Kosten der Tierhaltung im Terrarium betragen, auch wenn das Tier bei der Anschaffung nur ein paar Euro gekostet hat. Eine Parasitenuntersuchung kostet immer gleich viel, ob sie bei einem Rennpferd oder einer Bartagame gemacht wird. Das verstehen die Leute nicht.
Warum tun sich viele Leute schwer, Terrarientiere gut zu halten?
Dr. Manfred Hochleithner: Früher haben sie Reptilien in Tierhandlungen gekauft. Dort hat es eine Expertin oder einen Experten gegeben, die man jederzeit fragen konnte. Das Terrarium ist ein Kunstwerk. Dafür braucht man Know-how, um diese Welt zu errichten, ganz ähnlich wie beim Aquarium. Das geht nicht von einem Tag auf den anderen. In Zeiten von Tierbörsen im Internet ist das anders. Das Internet ist gefährlich, denn dort steht auch, dass die Mickey Mouse lebt. Da steht auch viel Blödsinn über Tierhaltung drinnen.
Sollte man Ihrer Meinung nach keine Reptilien mehr halten?
Dr. Manfred Hochleithner: Leute, auch junge, die enorm viel Wissen haben und Zeit und Geld investieren. Warum sollen sie diese Tiere nicht halten dürfen?
Was ist Ihrer Meinung nach das größte Problem bei der Exotenhaltung?
Dr. Manfred Hochleithner: Die Spontankäufe, denn da wird ohne viel Nachdenken ein exotisches Tier angeschafft. Spontankäufe passieren leider auch bei Kaninchen, Katzen und Hunden, nur überleben diese den Spontankauf und kommen dann vielleicht ins Tierheim. Reptilien werden durch falsche Haltung in kurzer Zeit krank und sterben. Es hat sich nicht herumgesprochen, dass Reptilien keine Schmuse- oder Streicheltiere sind. Sie dürfen nicht aus dem Terrarium genommen werden. Ich erlebe, dass Jugendliche mit der Schlange um den Hals bei der Praxistür reinkommen. Wenn die passende Umgebungstemperatur nur um fünf Grad absinkt, wird das Immunsystem der Tiere bereits um 50 Prozent schwächer. Wenn eine Bartagame mindestens 25 Grad Umgebungstemperatur braucht, und ich trage sie bei 15 Grad in die Schule, dann arbeitet ihr Immunsystem nur mehr zu 25 Prozent. Sie wird mit hoher Wahrscheinlichkeit krank. Das ist Tierquälerei. Schon 20 Grad Raumtemperatur in der Schulklasse sind ihr viel zu kalt. Viele Jugendliche und auch Erwachsene wissen gar nicht, dass Reptilien nicht selbst heizen können, sondern die Wärme der Umgebung brauchen.
Sind auch vernünftige TierhalterInnen vor Fehlern nicht gefeit?
Dr. Manfred Hochleithner: Das kann man so sagen: Griechische Landschildkröten sollten im Sommer im Garten gehalten werden, damit sie der Sonne ausgesetzt sind. Sie sind viel in Bewegung, deshalb ist es empfehlenswert, sie im Garten (im Gehege) laufen zu lassen. Man muss aber sehr aufpassen, wie hoch die Temperaturen dann wirklich sind. Heuer war der Sommer sehr verregnet, was oft zu Lungenentzündungen bei Schildkröten geführt hat.
Auch beim Füttern wird viel falsch gemacht. Bartagamen bekommen oft Heimchen und andere Insekten zu fressen, weil sie diese gerne jagen. Prinzipiell ist das nicht falsch, aber es sollte nicht zu viel sein, sonst fressen sie davon zu viel. Sie nehmen dann kein Grünfutter mehr auf. Genau das führt zu Vitaminmangel, der wiederum krankmacht.
Sind TierhalterInnen heutzutage verantwortungsloser als früher?
Dr. Manfred Hochleithner: Aus meiner Praxis kenne ich Leute, die als Kind eine Schildkröte bekommen haben und sie jetzt, 40 Jahre später, noch immer gut pflegen. Das wird aber schon seltener, dass jemand so eine lange Verbindung zu einem Tier aufbauen kann. Die Lebensplanung der Menschen ist anders als früher. Viele wissen nicht, wo sie in ein paar Jahren wohnen werden und ob die nächste Lebensabschnittspartnerin bzw. der nächste Lebensabschnittspartner eine Tierallergie hat oder nicht. Deshalb wird die Heimtierhaltung immer schwieriger. Es werden viele Tiere im Tierheim abgegeben oder ausgesetzt, weil sie nicht mehr zum Lebensentwurf passen. So gesehen sollten sich die Leute nur sehr kurzlebige Tiere wie Hamster anschaffen.
Kinder und Reptilienhaltung: Welche Einstellung haben Sie dazu?
Dr. Manfred Hochleithner: Kinder dürfen Terrarien nicht allein betreuen. Die Eltern sind dafür zuständig. Wenn Eltern den Kindern die Hygienemaßnahmen gut klarmachen können, kann es funktionieren. Reptilien haben Salmonellen im Darm, deshalb muss man sich immer die Hände waschen, wenn man sie angegriffen hat. Das gilt auch, wenn ich den Boden oder die Zweige im Terrarium angegriffen habe.
In der freien Natur stören die Salmonellen die Tiere nicht, weil sie den Kot absetzen und dann weitergehen und nicht mehr damit in Berührung kommen. In einem engen Lebensraum, wie es das Terrarium nun mal ist, kommen die Tiere damit immer wieder in Berührung, was zu massiven Infektionen führen kann. Deshalb muss es sehr sauber gehalten werden.
Sollten TierärztInnen ihre KundInnen mehr beraten?
Dr. Manfred Hochleithner: Die Leute haben kein Verständnis dafür, dass Beratung etwas kostet. Sie sehen es ein, wenn das Tier eine Spritze bekommt, aber wenn es um Vorbeugung oder um Haltungsinformationen geht, wird es schwer für eine Tierärztin oder einen Tierarzt, so etwas zu verrechnen.
Was empfehlen Sie?
Dr. Manfred Hochleithner: Wenn man Reptilien halten möchte, sollte man sich lange vorher gut bei Fachleuten erkundigen. Ich empfehle die Website der Freunde der Terraristik.
Vielen Dank für das Interview!
Das Gespräch führte Mag.a Daniela Lipka vom Verein „Tierschutz macht Schule“
Der Lebenslauf von Dr. Manfred Hochleithner, Tierklinik Strebersdorf.