Interview: Hühner sind klüger, als viele Menschen annehmen
„Tierschutz macht Schule“ im Gespräch mit Silvia Brandstätter, BEd und DIin Karin Zenger, BEd
Sie trainieren Hühner für den Einsatz in der Tiertherapie. (Anm. tiergestützte Intervention) Wie sieht das Training aus?
Für die tiergestützte Intervention sind Hühner in vielen Fällen besser geeignet als Pferde oder Hunde, weil sie so schnell lernen. Wir verwenden Hütchen, unter denen sie – wie bei einem Memory - etwas finden sollen. Sie können sich an gut an Figuren und Gesichter erinnern, dazu verwenden wir beispielsweise Legopüppchen. Mit dem sogenannten Targetstick aus dem Klickertraining für Pferd und Hund können wir sie über einen Parcours leiten. Wir trainieren sie auch, auf Kommando hochzuspringen. Wenn Hühner sehr ruhig im Temperament sind, dann können wir sie auch daran gewöhnen, am Arm gehalten zu werden. Viele Kinder sind so aufgedreht wie die Hühner und wir beobachten immer wieder erstaunt, wie ruhig Kind und Huhn werden, wenn sie dann in Verbindung treten.
Viele denken, im Tiertraining geht es nur darum, dem Tier bestimmte Kunststückchen oder „Gehorsam“ beizubringen. Aber wir haben die Erfahrung gemacht, dass gutes Tiertraining mehr kann. Es fördert den Vertrauensaufbau zwischen Mensch und Tier und festigt so die Beziehung zueinander. Das steigert wiederum die Sicherheit beim Umgang. Trainierte Tiere lernen Neues schneller und reagieren auch weniger schreckhaft und flexibler auf ungewohnte Situationen. Dadurch kann man die Tiere auch gut auf bestimmte Anforderungen, wie z. B. einen Tierarztbesuch oder in unserem Fall die Arbeit mit SchülerInnen und KlientInnen vorbereiten. Und zu guter Letzt sollte man nicht vergessen, dass Tiertraining wirklich Spaß macht!
Was ist das Besondere an Hühnern?
Sie sind sehr motiviert, wenn es eine schmackhafte Belohnung gibt, sie sind kluge und sehr visuelle Tiere. Wir können nicht genau sagen, wie intensiv Hühner Farben sehen, aber wir wissen, dass sie Rot, Grün, Gelb und Blau gut voneinander unterscheiden können. Sie können auch sehr gut Formen wie Kreise, Dreiecke und Quadrate unterscheiden. Wenn sie das Training kennen und wissen, dass es Belohnungen gibt, dann gehen sie von selbst neugierig an neue Herausforderungen heran.
Die tiergestützte Intervention hilft Menschen. Haben die Hühner auch was davon?
Die Hühner sind stark unterschätzte Tiere, was ihre Intelligenz und ihre Bereitschaft zum Lernen betrifft. Wahrscheinlich empfinden sie im normalen Hühneralltag auch so etwas wie Langeweile. Sie lösen die Aufgaben gerne, die wir ihnen stellen, wenn sie eine Belohnung dafür bekommen. Bei uns stehen die anderen Hühner immer am Zaun und wollen mitmachen, wenn wir mit einem Huhn beschäftigt sind. Wenn Hühner sehr zutraulich sind, wird der tägliche Umgang und das Handling mit ihnen ebenfalls leichter.
Besteht die Gefahr, dass man die Hühner überfordert, wenn man sich viel mit ihnen beschäftigt?
Unserer Einschätzung nach passiert das nicht, denn wenn sie nicht mehr wollen, gehen sie einfach weg. Das muss man respektieren. Sie wollen dem Menschen nicht gefallen, wie das vielleicht ein Hund möchte.
Was haben Sie beim Hühnertraining über deren Sinne gelernt?
Wir haben beobachtet, dass Hühnerkommunikation sowohl stark visuell über Körpersprache als auch umfangreich akustisch über viele verschiedene Laute abläuft. So ruft die Henne ihre Küken, oder auch der Hahn die Hennen mit ganz bestimmten Lauten auf die andere Tiere in der Gruppe auch sofort reagieren. Hat eine Henne ein Ei gelegt, gackert sie meist laut und aufgeregt. Schon im Ei kommuniziert die Glucke mit ihren Küken über gurrende Laute, die diese wahrnehmen können.
Wie individuell sind Hühner?
Die Tiere haben unterschiedliche Charaktere, das haben andere HühnerhalterInnen sicher auch schon bei ihrer eigenen Hühnerschar beobachtet. Unsere Hennen sind nach der Farbe ihrer Fußringe benannt. „Blue“ ist zum Beispiel eine sehr aktive „Action-Henne“. Sie liebt es, hochzuspringen und Aufgaben zu lösen. „Whitey“ hingegen ist sehr ruhig und wir können den Kindern ihren ausgestreckten Flügel zeigen, wenn wir sie im Arm halten. Die Henne „Silverstar“ lernt gerne Tricks und kann sogar ein bestimmtes Kinderspielzeug ziehen und einen kleinen Einkaufwagen schieben.
Welche Hühnerrassen bevorzugen Sie?
Wir sind überzeugt, dass Legehybriden besonders kooperativ und zutraulich sind. In der Tiertherapie und tiergestützten Intervention wird sehr häufig mit ihnen gearbeitet. Viele Rassen sind unserer Erfahrung nach dafür zu lebhaft und wild. Wenn man Hühner haben möchte, die sehr menschenbezogen sind, würden wir ihnen den Vorzug geben. In den großen Betrieben werden Legehybriden nach circa einem Jahr ausgemustert, weil sie dann keine so hohe Leistung mehr bringen. Für einen privaten Haushalt legen sie noch genug Eier. So ein Huhn zu kaufen, ist eine „Win-Win-Situation“ für alle. Statt geschlachtet zu werden, können die Hühner noch ein paar schöne Jahre bei einer Privatperson im Garten verbringen. Legehybriden können 5 bis 7 Jahre alt werden. Wir haben unsere Hennen von einem Betrieb mit Bodenhaltung geholt. Als wir die Stalltür aufgemacht haben und sie zum ersten Mal ins Freie gingen, waren sie sehr unsicher, aber sie haben rasch durch Nachahmung von den anderen Hühnern gelernt.
Wie kann ein Mensch das Vertrauen der Hühner gewinnen?
Als Erstes sollte man viel Zeit bei ihnen verbringen. Sich in den Stall oder Hühnerhof setzen und dabei etwas lesen und die Tiere gar nicht beachten. Sie werden von selbst herkommen. Dann mit ihnen sprechen und dabei ruhige Bewegungen machen. Nicht von oben auf die Hühner heruntergreifen, weil sie das an Greifvögel erinnert und ängstigt. Am Boden hocken und ein paar Leckereien füttern weckt hingegen Vertrauen. Bei unseren Hühnern sind getrocknete Mehlwürmer als Belohnung ein Highlight!
Was muss man beachten, wenn man neue Hühner mit einer schon bestehenden Hühnerschar vergesellschaftet?
Man sollte darauf achten, dass die neuen Hühner wie die anderen riechen, also den gleichen Stallgeruch haben. Man kann die Tiere mit einem einheitlichen, natürlichen Geruch einreiben (z.B. Lavendel oder Zitronenmelisse) und es ist von Vorteil, wenn sie in der Nacht im Hühnerstall dazugesetzt werden. Dann haben sie am nächsten Tag einen Geruch, der alle verbindet. Viel Platz ist ebenfalls wichtig, sodass die Tiere einander ausweichen können, wenn es Auseinandersetzungen gibt. Und man sollte wissen: Neue Hühner wollen anfangs oft nicht in den ihnen noch fremden Stall gehen. Man sollte anfangs abends sicherheitshalber schauen, ob sie auch wirklich drinnen sind und ihren Schlafplatz gefunden haben.
Welche Tipps haben Sie, wenn Hühner und Kinder aufeinandertreffen?
Die Kinder sollten sich von Anfang an ruhig verhalten und den Hühnern auf keinen Fall nachlaufen. Sie sollen wissen: Hühner sind keine Streicheltiere und wollen auch nicht sofort berührt und hochgehoben werden. Kinder drücken die Hühner beim Halten leider oft viel zu fest. Deshalb sollte man das Hochheben nur Kindern erlauben, die das ruhig und richtig machen können und den Vorgang auf jeden Fall beaufsichtigen.
Sehr kleine Kinder und Hühner sollte man ebenfalls nicht unbeaufsichtigt zu nahe zusammenkommen lassen, da es passieren kann, dass Hühner auf die Augen picken. Ein Zaun um das Hühnergehege herum ist hilfreich. Aus hygienischen Gründen sollten Kinder dort wo Hühner herumlaufen, nicht am Boden sitzen. Öfters Händewaschen ist im Hühnergarten eine Selbstverständlichkeit.
Wie funktioniert das stressfreie Hochheben?
Zuerst hockt man sich auf den Boden, dann streckt man die Arme aus, am besten man hat einen Leckerbissen dabei. Dann legt man die Hände auf die Flügel des Huhnes und drückt dies sanft an den Körper des Tieres, um sie zu fixieren. Dann kann man das Huhn langsam hochheben. Man sollte es gerade halten und wenn es zu flattern beginnt vorsichtig absetzen oder auslassen, da es sich sonst verletzen kann. Bei den ersten Versuchen sollte eine zweite Person dabeistehen und einen Leckerbissen verfüttern, während die andere das Huhn hält. Geübtere Personen können, wenn das Huhn einmal hochgehoben ist auch mit einer Hand beide Flügel halten, während die andere an der Brust des Huhnes liegt. So kann man es dann auch sanft an den eigenen Körper drücken, um es zu stabilisieren.
Können Sie uns einen kleinen Trick erklären, den Hühner schnell lernen können?
Der einfachste Trick, den Hühner sehr schnell lernen und gerne zeigen ist das Hochspringen. Dazu führt man einen Leckerbissen am besten an einer Pinzette waagrecht über dem Schnabel des Tieres nach oben über seinen Kopf. Normalerweise wird das Huhn versuchen, das Futter zu erwischen. Wenn es einmal Erfolg hatte, kann man den Leckerbissen höher halten und das Huhn wird ziemlich bald versuchen, hochzuspringen.
Vielen Dank für das Interview!
Das Gespräch führte Mag.a Daniela Lipka vom Verein „Tierschutz macht Schule“
Silvia Brandstätter, BEd und DIin Karin Zenger, BEd. unterrichten an der Landwirtschaftlichen Fachschule Hollabrunn Nutztierhaltung und Haustierpflege sowie Tierbetreuung. Dort trainieren sie auch ihre Hühner für die tiergestützte Intervention am Bauernhof. Silvia Brandstätter, BEd und DIin Karin Zenger, BEd. absolvierten außerdem die Ausbildung zur Fachkraft für Tiergestützte Intervention (TGI).
Weitere Informationen zur tiergerechten Hühnerhaltung im Garten finden Sie in der Erwachsenenbroschüre „Huhn im Glück“.